Der Standard: „Verschüttete Hoffnung“

Im Rahmen der Wiener Festwochen hat Anna Maria Krassnigg „Die Kinder von Wien“ dramatisiert. Ihr gelingen beklemmende Szenen in düsterer Kulisse

Wien – Die ehemalige Expedithalle der Ankerbrotfabrik erinnert an einen Hangar. Eingetaucht in Nebelschwaden endet das Spielfeld, ein Trümmerfeld aus Sperrmüll, irgendwo im Nichts. Die Szenerie von Lydia Hofmann trifft die unwirtliche Situation in Robert Neumanns Roman Die Kinder von Wien: Vom ausgebombten Haus blieb nur der Keller übrig.

Dort hausen im Winter 1945/46 ein paar Kinder. Das intakte Klo mit “ Ziehwasser“, also Spülung, vermag sie zu begeistern. Und es gibt – im Gegensatz zu Herr der Fliegen – keine Machtkämpfe untereinander, keine Verrohung: Diese Kinder halten über „rassische“ und ideologische Grenzen hinweg als Schicksalsgemeinschaft zusammen. Ihre Feinde sind die Umstände und die Erwachsenen, die den Keller beschlagnahmen, verwerten wollen.

In der geglückten Dramatisierung von Regisseurin Anna Maria Krassnigg bleibt vieles bewusst im Dunkeln. Die vier Jugendlichen Goy, Ewa, Ate und Jid scheinen sich zurückzuerinnern: Gegenwart und Vergangenheit vermischen sich, fallen in eins. Curls, etwas jünger, wird zwar mehrfach angesprochen, er taucht aber physisch nie auf. Und das Kindl, Baby mit Ballonbauch, muss, wie etliche andere Kinder im Keller, bereits tot sein: Goy (Jens Ole Schmieder) führt mit der Puppe, die er wiegt, einen berührenden Dialog in Bauchrednermanier.

Die Grundkonstellation erinnert stark an Wolfgang Borcherts Kurzgeschichte Nachts schlafen die Ratten doch (1947): Ein Junge bewacht seinen toten Bruder, der unter den Trümmern liegt, weil er verhindern möchte, dass die Ratten ihn fressen. Er gibt erst auf, als ihm ein Mann versichert, dass diese nachts schlafen. Auch die Kinder von Wien, die zusammen mit den Ratten leben, werden belogen. Wie der Alte bei Borchert gewinnt Reverend Smith, Angehöriger der US-Army, zunächst das Vertrauen. David Wurawa spielt den sanften Priester als Güte in Person. Dieser meint es wirklich gut. Doch alle Hoffnungen zerplatzen.

Neumann verortete seinen 1946 im Londoner Exil geschriebenen Roman in Wien, meinte aber, dass er überall spielen könne, in jedem Keller. Nicht ohne Grund verwendete er sehr künstliche Dialekte. Krassnigg hingegen betont das Wienerische: Die Erwachsenen, „Melone“ und „Regenmantel“ gerufen (Martin Schwanda und Werner Brix), sind beinahe Kopien aus dem Dritten Mann.

Ihr gelingen aber ein paar exzellente Szenen, darunter der Kaffeeplausch von Ewa (Kirstin Schwab) und Ate (Petra Gstrein) zu Rübenschalentee. Herausragend agiert Daniel Frantisek Kamen als impulsiver Jid, der leider völlig dem jüdischen Klischee entspricht. (Thomas Trenkler, DER STANDARD, 17.5.2013)

http://derstandard.at/1363711289755/Verschuettete-Hoffnung

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